Vogelgrippe? Schon lange nichts mehr davon gehört…

Noch im Frühjahr war die Rede von eventueller globalen H5N1-Virus Epidemie, nun hört man kaum mehr etwas von der sogenannten Vogelgrippe. Mitte Februar wurden die ersten Vogelkadaver mit H5N1-Viren auf der Ostseeinsel Rügen gefunden. Drei Tage später trat eine bundesweite Stallpflicht in Kraft; Ende Februar starb erstmals ein Säugetier in Deutschland – eine Katze – an der Vogelgrippe. Im April folgten der erste H5N1-Funde bei Nutzgeflügel und die Keulung Tausender Hühner. Die Seuche hatte sich von Asien über Europa und Afrika ausgebreitet und erschien nur eine Frage der Zeit zu sein, ehe sich die Geflügelseuche über den ganzen Planeten ausbreitet, sich in Säugetieren wie etwa Schweinen mit einem menschlichen Grippevirus vermischt und dann Millionen Menschen dahinrafft.Zwar gibt es immer neue Meldungen über einzelne Infektionen von Menschen in Asien; die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt inzwischen 154 Todesopfer. Doch die Sorgen über eine Pandemie scheinen sich nicht zu bewahrheiten. Experten nennen zum Teil saisonale Gründe: In kalten Monaten ist das H5N1-Virus wesentlich aktiver als in warmen. “Viele von uns halten den Atem an und warten, was im Winter passiert”, sagt Malik Peiris, Mikrobiologe an der Hong Kong University. Andere Fachleute glauben, dass ausgerechnet die mancherorts intensiv betriebene Impfung von Geflügel das Aufspüren des Erregers erschwert: Durch die Impfung ist eine geringere Menge an Viren im Umlauf. Experten argwöhnen zudem, dass die Impfungen die besonders gefährlichen Varianten des H5N1-Virus sogar gestärkt haben.
“Wir haben weiterhin ein sichtbares Risiko vor uns”, sagte Keiji Fukuda, Koordinator des globalen Influenza-Programms der WHO. Derzeit sei alles möglich: Das H5N1-Virus könne eine verheerende Pandemie auslösen oder aber weniger gefährlich für Menschen werden.
Influenzaviren mutieren ständig, so dass die genetische Veränderung allein noch kein Grund für erhöhte Besorgnis ist. Das Problem ist nur herauszufinden, welche Mutationen den Erreger für Menschen gefährlicher machen. Dass ein Pandemie-Virus entstanden ist, werden Mediziner wohl erst an einem plötzlichen Anstieg der Übertragungen von Mensch zu Mensch erkennen. Zuletzt ist das 1968 geschehen: Die Hongkong-Grippe ging um die Welt und tötete unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 750.000 und zwei Millionen Menschen.
Im Mai wurde auf Sumatra ein Fall bekannt, bei dem sich sechs Menschen gegenseitig mit der Vogelgrippe angesteckt hatten. Die WHO war sofort mit Spezialisten vor Ort und alarmierte gar den Pharmakonzern Roche, der im Notfall große Mengen an Medikamenten nach Indonesien liefern sollte.
Glücklicherweise blieb der sogenannte Sumatra-Cluster auf eine Familie beschränkt. Obwohl eine Ansteckung von Mensch zu Mensch stattgefunden hatte – wie auch in einigen anderen Fällen – war das Virus nicht leichter übertragbar geworden. Dennoch zeigte der Fall eines der Hauptprobleme der Seuchenbekämpfer: die lückenhafte Ãœberwachung.
Selbst in China, wo H5N1 zuerst aufgetreten ist, gilt die Kontrolle nicht als ideal. “14 Milliarden Vögel in China zu beobachten ist eine enorme Herausforderung, insbesondere wenn viele dieser Vögel in Hinterhöfen leben”, sagte Henk Bekedam, ranghöchster WHO-Vertreter in China. 20 von 21 bisher bekannten H5N1-Fällen unter Chinesen stammten aus Gebieten, in denen zuvor kein H5N1-Ausbruch unter Vögeln bekannt geworden sei. “Wir müssen genauer nach den Stellen suchen, an denen sich das Virus versteckt”, meint Bekedam.
Allerdings sind die Gesundheitsbehörden von der Gnade der Regierungen und der Wissenschaftler anhängig. Die Forschung steht sich mitunter auch selbst im Weg: Mediziner horten Virenstämme und halten ihre Erkenntnisse zurück, weil sie auf die Veröffentlichung eines potentiell ruhmreichen Fachartikels warten. Entwicklungsländer sind zuweilen ebenso vorsichtig mit der Freigabe von Informationen: Nicht selten fürchten sie, dass die Impfstoffe, die aus ihren Virenproben entwickelt werden, für sie selbst anschließend unerschwinglich sind.

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